Gelassenheit. Ja, sie fehlt in den Online-Diskussionen über Rollenspiele. Wer auch nur gelegentlich einen Blick in Foren und Blogs wirft, wird mitbekommen, wie heftig dort kritisiert, geschimpft und gestänkert wird. Der Eismann hat gerade ein (Rant-)Lied davon gesungen.
Engor plädiert in einem aktuellen Blogbeitrag für mehr Gelassenheit angesichts der Perspektive, dass es letztlich nur um Rollenspiele geht, „nicht um etwas Todernstes“.
Das ist richtig und falsch zugleich.
Wer schon mal einem Fußball-Fan nach einer bitteren Niederlage zugerufen hat „Kopf hoch, ist doch nur ein Spiel“, weiß, wie fruchtlos dieser Appell ist.
Für Rollenspieler ist Rollenspiel nicht nur ein Spiel, es ist IHR Spiel, in das sie viel Zeit und Geld investieren. Für viele Rollenspieler ist Rollenspiel ein wichtiger Teil ihres Lebens. Es gibt Menschen, die mit Rollenspielen ihren Lebensunterhalt bestreiten. In den Verlagen hängen Arbeitsplätze vom Erfolg und Misserfolg von Rollenspielen ab. All diesen Menschen zuzurufen „Jetzt macht euch mal locker. Es ist doch nur ein Spiel“ wird nicht funktionieren.
Diskussionen unter Rollenspielern werden stets unter einem Mangel an Gelassenheit leiden. Das ist zwar ein Problem, aber es ist nicht das größte Problem. Schlimmer als dieser Mangel an Gelassenheit ist in der öffentlichen Diskussion das Fehlen von Menschen mit Distanz zur Rollenspiel-Szene.
Alle in einem Boot
Ein viel zu großer Teil derjenigen, die sich öffentlich über Rollenspiele äußern, tun dies aus einer Position der persönlichen Betroffenheit heraus. Sie sind entweder in der unterschiedlichsten Form mit Rollenspielverlagen verbunden oder aber so sehr Fan ihres Rollenspiels, dass ihnen jegliche Distanz fehlt.
Uhrwerk-Redakteur Uli Lindner hat vor einiger Zeit über Verlage und Rollenspieler gesagt: „Wir sitzen alle im selben Boot“. Viele Rollenspieler sehen das vermutlich ähnlich, sie verstehen sich als Teil der Rollenspiel-Szene. Für die öffentliche Meinungsbildung ist das ein Problem.
Das Internet ist für den Rollenspiel-Bereich die wichtigste Quelle zur Information und Meinungsbildung. Doch viel zu häufig gibt es eine zu große Nähe zwischen denjenigen, die über Rollenspiele schreiben, und den Rollenspielverlagen und Rollenspielen über die sie schreiben.
Nahezu jeder, der sich öffentlich über Rollenspiele äußert, ist selbst Rollenspieler und häufig Fan eines bestimmten Spiels. Enge persönliche Kontakte zu Verlagsmitarbeitern sind keine Seltenheit, berufliche auch nicht. Rezensionsexemplare werden gerne genommen. Gerne auch wird in Fan-nahen Projekten der Verlage mitgearbeitet; manchmal ehrenamtlich, manchmal für eine Aufwandentschädigung. Diese fehlende Distanz trübt das Urteil.
Reflektion der eigenen Rolle – und der Verantwortung
Der Vorwurf fehlender Distanz darf aber nicht verwechselt werden mit der Forderung nach (einer ohnehin utopischen) Objektivität. Darum geht es nicht. Es geht nicht darum, zwanghaft Distanz zu wahren und objektiv zu sein. Es geht darum, sich die eigene Subjektivität bewusst zu machen, wenn die Distanz fehlt.
Wer sich als Teil der Rollenspiel-Szene begreift, muss sich die Frage stellen, wie sich dadurch der Blick auf die Szene verändert. Wer überzeugter Anhänger genau eines Spiels, Spielstils oder Spielsystems ist, der sollte in sich hineinhorchen, in wie weit er überhaupt offen für andere Ansätze ist. Wer von Verlagen mit kostenlosen Rezensionsexemplaren versorgt wird, der sollte seine Einstellung den Verlagen gegenüber kritisch prüfen. Wer mit Werbung für Rollenspielprodukte Geld verdient, der sollte auf eine strikte Trennung zwischen Information und Werbung achten. Wer in welcher Form auch immer für Verlage arbeitet, muss die Aussagekraft der eigenen Rezensionen hinterfragen.
Die Liste ließe sich fortführen…
Abseits der Verlagsverlautbarungen sind Blogs und Foren häufig die einzigen Informationsquellen. Das, was dort über Rollenspiele steht, hat Gewicht. Das Bewusstsein für diese Verantwortung und für die eigene Subjektivität aber ist bestenfalls schwach. Entsprechend mau ist das Informationsangebot, die darauf fußende Meinungsbildung und die sich anschließenden Diskussionen.
Und zum Schluss: Ja, ich sitze im Glashaus.
11 Gedanken zu “Rollenspielern fehlt Distanz”
Ich sehe das etwas gelassener.
Ja, es gibt eine ganze Menge Fanboys, welche der Meinung sind „ihr“ System wäre das beste seit geschnitten Brot. So what? Ist doch schön, wenn jemand noch FREUDE an seinem Hobby hat und mit BEGEISTERUNG an dieses herangehen kann.
Auch wenn ich das entsprechende System selbst nicht mag, habe ich nichts gegen System-Fanboys, denn sie zeigen dass die RSP-Szene „bunt und granatenstark“ ist. Pluralität ist etwas GUTES, es gibt absolut KEINEN Grund, irgendjemand „sein“ System schlechtzureden und ihm zu sagen „spiel doch lieber XY, das ist viel besser!“ Auf diesem Weg liegt nur Zynismus und Verbitterung und es bringt die Szene nicht wirklich weiter, wenn alle nur dasselbe spielen.
Ich kann mit dem Posting nichts anfangen. Durchaus eine gewisse Verlagsnähe aufweisende Fan-Berichts-Projekte wie Nandurion oder Orkenspalter TV haben eine ziemlich hohe Qualität und auch Vielschichtigkeit. Wer sich schonmal eine Rezzension oder Forenbeiträge von Leuten die noch nie was an DSA fanden zu einem DSA-Produkt durchgelesen hat weiß, dass so eine Form von Distanz nicht hilfreich ist und nicht die Perspektive ist, die die meisten Fans die nun einem die Rollenspielkanäle lesen lesen möchten. Innerhalb dieser Perspektive gibt es durchaus immer wieder viel Kritik grade auch an Ulisses. Bei zu großer Nähe machen z.B. Orkenspalter.TV zu Uhrwerk direkt darauf aufmerksam und vergeben keine Bewertung.
Das ist durchaus mehr Transparenz als sie von der gewöhnlichen Medienwelt zu erwarten ist, wie enthüllungen aus diversen Großzeitungen im Verhältnis zu ihren Anzeigenkunden in den letzten Jahren belegt haben. Orkenspalter.TV jeweils einzelne Autoren von Nandurion und auch Arkanil stehen dabei für unterschiedliche Perspektiven und vorlieben für DSA und sind sich deshalb öfters mal in der Bewertung nicht einig. Ich als leser kann mich daran orientieren und diese Voreingenommenheit in meinen Lesevorgang klar mit einkalkulieren.
Zwei Dinge dazu:
1. Es ist nicht alles schlecht. Es gibt durchaus Menschen, die reflektieren. Aber noch viel mehr, die das nicht tun.
2. Viele Fans wollen, wie du schreibst, eben nur Rollenspiel- oder Fan-Kanäle lesen und sind damit zufrieden. Gerade das ist aber führt zu Problemen. Wer sich einseitig informiert kann auch nur einseitig diskutieren.
So ganz verstehe ich den Ansatz nicht.
Beispiel: Seit Jahren beschäftige ich mich mit ‚zig Materialien aus dem Bereich Dingsbums. Ich lese über Dingsbums, ich verbringe meine Zeit mit Dingsbums und ich treffe mich mit Freunden zum Thema Dingsbums. Und dann soll ich so viel Abstand haben, dass mich Dingsbums emotional nicht tangiert?
Die Produzenten wollen, dass die Käufer emotionalisiert werden, weil dann die Umsätze, Konversionsraten usw. steigen. Und Du frägst nach Distanz?
Also, Distanz fände ich schlecht. Aber mit mehr Toleranz gibt es weniger negative Gefühlsausbrüche zum Thema/Hobby. Das ist in meinen Augen viel wichtiger.
Wie oben geschrieben, geht es nicht darum Distanz aufzubauen. Es geht darum zu reflektieren, was mangelnde Distanz für Probleme mit sich bringt.
Im Prinzip finde ich, dass deinen Vergleich zum Fußball etwas hat.
Es gibt Fußball-Fans und es gibt Ultras. Die einen werfen den anderen jeweils vor, keine richtigen/guten Fans zu sein. Der weitaus größte Anteil der Leute, die Fußball gucken und für den einen oder anderen Verein mitfiebern, sind weitestgehend normale und unauffällige Konsumenten.
Aber die Ultras sind die, die die Stimmung im Stadion erzeugen, mit denen der Verein sich immer wieder auseinander setzen muss, weil wieder Pyrotechnik am Start war usw.
Es geht eben nicht ohne aber auch nicht so richtig mit.
Schöner Beitrag!
Mach ruhig mal mehr so Meta-Analysen, das ist immer sehr interessant.
Davon ab: Toller Blog, schon seit langer Zeit! 🙂
Ich hab die Würfel weggepackt. Ich spiele keine Online Runden mehr, ebenso das wöchentliche Treffen zum spielen hab ich aus den genannten Gründen eingestellt. Derzeit kotzt mich die ganze Rollenspiel Community nur noch an. Man gibt ein Kommentar irgendwo ab und schon kommen die ganzen Rollenspielpropheten und die die alles besser können! Man wird als Troll verleumdet wenn man nicht der allgemeinen Meinung ist. Es wird nicht diskutiert, sondern immer nur diskreditiert.
Und wenn man es mal zusammenrechnet kann man sich auch fast jedes Jahr einen neuen Gaming PC kaufen, die Kohle die Beim Rollenspiel drauf geht ist enorm. Besonders dann, wenn das System Pathfinder oder DSA heißt. 🙂
Kennst du eine Community die das Diskreditierungsproblem nicht hat? Ich habe häufig den Eindruck, dass das eher ein Problem des Internets im Allgemeinem ist. Von daher sollten wir uns hüten ein Problem als spezifisch für Rollenspielet zu deklarieren. Das könnte ein Irrweg sein.
Irgendwie ist mir dein konkretes Plädoyer noch zu dünn. Zunächst einmal wäre ich mir nicht sicher, ob du die Bedeutung und das Gewicht von Bloggern richtig einschätzt. Womöglich sind (und waren) Blogger für die Rollenspielszene insgesamt viel unbedeutender als wir meinen.
Dann stelle ich mir die Frage, ob deine Anregung auf konkreten Erfahrungen oder rein theoretischen Überlegungen beruht. Ständiger Relativismus hilft auf Dauer auch niemandem. Da ist mir ein engagierter Fan allemal lieber. Der kann auch kritisch sein. Der größte Kritiker der Deutschen Bahn ist auch eine Gruppe, die sich ProBahn nennt.
Und der Aufruf an Rezensenten doch bitte, ja was eigentlich, zu sein? Objektiv, neutral, distanziert, na ist ja auch egal. Ich bin zunächst mal froh, dass es überhaupt ein solch umfangreiches Angebot an Rezensionen gibt. Einen konkreten Schaden durch Propagandaschriften kann ich zumindest aus meiner Perspektive nicht erkennen. Vielleicht ist mir auch einfach der Kern deines Beitrags entgangen. Womöglich kannst du diesen Missstand ja noch beheben.