„Dreißig Jahre sind vergangen, seit sich die Gemeinschaft erstmals in Wilderland begegnet ist. Dreißig Mal sind die schwarzen Blätter im wilden Wald gefallen. Eine Lebenszeit, wie die kurzlebigen Nordmänner die Zeit messen; eine kurze Weile für die unsterblichen Elben.“
Mit diesen Worten endet Schatten über dem Düsterwald. Rund 120 Seiten habe ich bis zu dieser Stelle gelesen, ein wenig blättere ich noch durch den Anhang, dann klappe ich das Buch zu und habe eigentlich nur einen Gedanken im Kopf: „Ich will das spielen.“
Nur wenige Abenteuerbände habe ich mit so großem Vergnügen gelesen wie bei Schatten über dem Düsterwald. Es ist der zweite Abenteuerband für das Mittelerde-Rollenspiel Der Eine Ring. Der Uhrwerk Verlag beschreibt diesen Abenteuerband als eine epische Saga mit genügend Abenteuermaterial, „um Monate oder sogar Jahre damit zu spielen“. Und genau das ist es auch geworden.
Lücke zwischen Hobbit und Ringkrieg wird gefüllt
Der Eine Ring basiert auf den Romanen von J.R.R. Tolkien und ist zeitlich angesiedelt zwischen den Ereignisse aus Der Hobbit und Der Herr der Ringe. Schatten über dem Düsterwald spielt im sogenannten Wilderland. Vorgestellt wird diese Region in Tolkiens Der Hobbit, bleibt dann aber bis zu Frodos Reisen in Der Herr der Ringe praktisch unerwähnt. Der Kampagnenband nutzt diesen Freiraum und spinnt die Ereignisse aus Der Hobbit weiter.
Im Mittelpunkt des Abenteuerbandes steht der titelgebende Düsterwald, wie sich der Schatten dort immer weiter ausbreitet und wie Menschen, Elben und Zwerge gegen die Finsternis kämpfen. Die Spielercharaktere sind die Protagonisten einer Kampagne, die sich über 30 Jahre erstreckt und in deren Verlauf sie entscheidenden Einfluss auf das Wohl und Wehe der Völker der Region nehmen können. Die Handlungen der Gefährten entscheiden, ob die Siedlungen der Menschen gedeihen oder vergehen und ob große Teile des Düsterwalds in Dunkelheit versinken oder die Macht von Dol Guldur gebrochen wird.
31 Kapitel – 31 Abenteuer
Der Abenteuerband ist in 31 Kapitel unterteilt, eines für jedes Jahr der Kampagne (nach Mittelerde-Zeitrechnung sind das die Jahre 2847 – 2977). Kern eines jeden Kapitels ist die sogenannte Abenteuerphase, die jeweils ein ausgearbeitetes Abenteuer enthält. Wobei… „ausgearbeitet“ trifft den Kern häufig nicht ganz.
Schatten über den Düsterwald hat samt Vorwort, Anhang, Stichwortverzeichnis und all den wundervollen Illustrationen 144 Seiten. Es gibt 31 Kapitel mit jeweils einem Abenteuer. Rein rechnerisch bleiben da pro Abenteuer nur knapp vier Seiten. Das heißt aber nicht, dass die Kampagne aus 31 Kurzabenteuer besteht. Die gibt es zwar, häufiger aber sind es längere Abenteuer, die allerdings nur grob ausgearbeitet sind – und manchmal sogar weniger als das.
Das Negativbeispiel: Gegen Mitte der Kampagne sollen die Gefährten die Rückeroberung einer alten Zwergenmine unterstützen. Das Abenteuer ist nicht mal eine halbe Seiten lang. Es gibt keine Beschreibung der Mine, es gibt keine Abenteuerhandlung, es gibt eigentlich gar nichts außer eine paar grobe Hinweise, wie die Rückeroberung vorbereitet und wie sie ausgehen könnte. Das ist erschreckend wenig. Für den Spielleiter bedeutet das viel Arbeit.
Knapp aber vielfältig
Die knappe Ausarbeitung der einzelnen Abenteuer hat natürlich einen Vorteil. Die Autoren konnten jede Menge Stoff ins Buch packen: epische Schlachten, belagerte Städte, Kampf gegen Drachen, Flucht vor Trollen, detektivische Spurensuche, Verhandlungen mit Stammeshäuptlingen, Elbenfürsten und Räuberbanden, Heimlichkeit und Diebstahl, Kampf und Konfrontation, Mystik und Magie… und noch einiges mehr.
Im Gegensatz zu manch anderen Kampagne beinhaltet Schatten über dem Düsterwald keinen durchgehenden Handlungsstrang, dem die Spieler stets zu folgen haben. Die 31 Abenteuer des Bandes haben in der Regel eine abgeschlossene Handlung und ließen sich auch als Einzelabenteuer spielen. Einzelne Abenteuer können zudem ausgelassen werden; die Geschichte geht trotzdem weiter, nur nimmt die Handlung dann womöglich ein Wende zum Schlechteren. Zudem kann der Spielleiter jederzeit weitere Abenteuer und Szenarien ergänzen. Anregungen dafür gibt es genug.
Offen und folgenreich
Zu einer Kampagne werden die einzelnen Abenteuer durch das übergeordnete Thema: Fast immer geht es darum, sich der wachsenden Bedrohung durch den Schatten entgegenzustellen, der sich im Düsterwald ausbreitet. Verknüpft werde die Einzelabenteuer zudem durch immer wiederkehrende Orte und Personen und dadurch, dass die Entscheidung der Spieler den weiteren Kampagnenverlauf maßgeblich beeinflussen.
Häufig ist der Ausgang der einzelnen Abenteuer völlig offen. Die Handlungen der Spieler entscheiden so darüber, wie sich Orte und Personen über die Zeit verändern. Es kann passieren, dass die Folgen einer Entscheidung, die am Anfang der Kampagne getroffen wurde, in einem ein Abenteuer 20 Jahre später zu spüren sind. Was allerdings auch wieder heißt: Auf den Spielleiter kommt viel Arbeit zu, da er die einzelnen Abenteuer entsprechend anpassen muss.
Fazit: Viel Arbeit, die sich lohnt
Schatten über dem Düsterwald ist eine dreißigjährige Kampagne. Das will schon was heißen. Die Gefährten sind die Helden einer epischen Saga und bestimmen die Geschicke einer ganzen Region. Der Kampagnenverlauf hängt an vielen Stellen von den Entscheidungen der Spieler ab, denen der Band enorm viele Freiheiten und Gestaltungsmöglichkeiten zugesteht.
So viel Freiraum und Umfang hat ihren Preis. Der Spielleiter muss extrem viel Arbeit in die Gestaltung der Kampagne stecken. Die 31 vorgefertigten Abenteuer in dem Kampagnenband sind häufig nur oberflächlich ausgearbeitet, weitere Abenteueraufhänger zudem nur grob angerissen.
Der Spielleiter muss bereit sein, diese Arbeit auf sich zu nehmen und die Spieler müssen die Freiheiten der Kampagne zu nutzen wissen. Dann kann Schatten über dem Düsterwald ein ganz großartiges Rollenspielerlebnis werden.
Schatten über dem Düsterwald
Uhrwerk Verlag
vollfarbiges Hardcover
144 Seiten
29,95 Euro