Revolutionen können sehr langweilig sein. Nicht immer kommen sie mit einem großen Knall, mit Massenaufständen, mit Fackeln und Forken. Oft kommen sie eher angeschlurft und gewandet in einem technokratischen Mantel. Erst im Rückblick wird deutlich: „Huch, da hat sich aber ganz schön was geändert.“
Eine solch schlurfende Revolution hat Ulisses Spiele womöglich in diesem Sommer auf der RatCon gestartet. Mit der Ankündigung neuer Lizenzierungsformen hat Ulisses-Chef Markus Plötz die kommerzielle Nutzung der DSA-Regeln und die Spielwelt Aventurien durch Dritte eröffnet. Wer möchte, kann künftig unter der sogenannten ORC- und ELF-Lizenz eigene DSA-Produkte herausgeben.
Die Details der ELF-Lizenz, die die Nutzung der Spielwelt umfasst, sind noch nicht bekannt. Aber dieser eher technokratische Schritt könnte gleichwohl die größte Veränderung in der bald 40-jährigen Geschichte des Schwarzen Auges einleiten – und eine radikale Abkehr von der bisherigen DSA-Produktpolitik bedeuten.
Auf dem Pfad ohne Wiederkehr
Mit DSA5 hat sich Ulisses für eine immer kleinteiliger werdende Beschreibung der Regeln und der Spielwelt entschieden. 16 Regelwerke, elf Regionalbeschreibungen und 66 Spielhilfen sind bislang erschienen. Ein Ende ist nicht absehbar und weder gewollt noch gewünscht.
Ganz offensichtlich gibt es ausreichend Menschen, die Spaß an genau diesem DSA5 haben. Die bereit sind, Geld für diese Masse an Publikationen zu zahlen. Denen Das Schwarze Auge in der 5. Edition so gefällt wie es ist. Und diese Menschen bilden die Kundengruppe, die der Verlag mit seiner Produktpolitik bedient. Es ist das schlichte Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage, das seine Wirkung tut.
Eine Abkehr von dieser Produktpolitik wäre zugleich eine Abkehr von dieser Kundengruppe – mit all den damit verbundenen kommerziellen Risiken. Die Abkehr von dieser Produktpolitik wäre zudem eine Abkehr von dem Pfad, auf den sich Das Schwarze Auge vor Jahrzehnten begeben hat. Jede Regeledition hat bislang den Detailgrad erhöht. Diese Entwicklung ist kaum zurückzudrehen, allenfalls durch einen Bruch mit all dem bislang Veröffentlichten. Kaum anzunehmen, dass Ulisses ein solches Wagnis eingehen wird.
Ein radikaler Bruch ganz ohne Risiko
Mit der ELF-Lizenz hat Ulisses einen Weg gefunden, den bisherigen Produktpfad zu verlassen, ohne das damit verbundene Risiko einzugehen. Der Verlag lässt einfach andere auf neuen Pfaden wandeln.
Die ELF-Lizenz öffnet die aventurische Spielwelt für neue Ansätze und Ideen. Dass aventurische Produkte, die unter dieser Lizenz entstehen, nicht kanonisch sind, ist dabei sogar ein Vorteil. Es erlaubt den Bruch mit dem bisherigen Aventurien, bietet die kreative Freiheit, die die engmaschige offizielle Beschreibung nicht mehr gestattet.
Das Schwarze Auge als Rollenspiel kann davon nur profitieren. Vielleicht gelingt es anderen Verlagen mit ihrem DSA-Ansatz neue Spielerinnen und Spieler abseits der etablierten Kundengruppe für Aventurien zu begeistern. Davon würde auch Ulisses profitieren.
Mit der ELF-Lizenz auf neuen aventurische Pfaden
Der Uhrwerk Verlag hat bereits das erste Crowdfunding für ein Aventurien-Produkt unter der ELF-Lizenz gestartet. Mit Die Grüne Ebene will der Verlag eine vollwertige aventurische Regionalbeschreibungen und zugleich ein Quellenband für das Spiel in Aventurien nach den Regeln des Rollenspiels Dragonbane herausbringen. Das am 18.12. endende Crowdfunding hat bereits die Summe von 75.000 € eingesammelt.
Die Regionalbeschreibungen des Uhrwerk-Verlags wird unter der Redaktion Eevie Demirtel und Thomas Römer entstehen. Thomas war bis 2011 Chefredakteur des Schwarzen Auges, Eevie von 2011 bis 2017 Mitglied in der DSA-Redaktion und ebenfalls Chefredakteurin. Viele weitere bekannte DSA-Namen werden an dem Band mitarbeiten. An aventurischer Expertise wird es nicht mangeln. Ob es die richtigen Personen sind, die DSA auf einen neuen Pfad führen können, die DSA vielleicht sogar revolutionieren können, wird die Zukunft zeigen.
Talk mit Eevie Demirtel und Thomas Römer zum Dragonbane- / Aventurien-Band „Die Grünen Ebene“:
Coverbild: Jon Hodgson
7 Gedanken zu “Mit der ELF-Lizenz zur DSA-Revolution”
Hi, sehe ich ähnlich, das hat viel gutes und sehr wenig schlechtes. Kleine Anmerkung: Auch Eevie Demirtel war einige Jahre Chefredakteurin.
Danke. Habs angepasst.
Danke für die Gedanken, Arkanil! Dass der Detailgrad und die engmaschige Beschreibung mit der ELF-Lizenz abnehmen, kann ich allerdings nicht erkennen, Im Gegenteil könnte die Lizenz eine noch engere Beschreibung mit noch mehr Details verursachen, worauf auch das erste Produkt im Zuge der ELF hindeutet: Die Grüne Ebene war als Schauptlatz bisher noch so engmachig beschrieben, das wird sich nun ändern.
Ja, stimmt schon. Die Grüne Ebene trägt eher dazu bei, dass die weißen Flecken noch weniger werden. Eine Abkehr von der bisherigen Produktpolitik ist das nicht. Von Menschen, die die DSA-Produktpolitik der vergangenen Jahre (Jahrzehnte) entscheidend mitgeprägt haben, kann man das wahrscheinlich auch nicht unbedingt erwarten.
Wer mehr weiße Flecken möchte, kann bei DSA ja auf Myranor, im Riesland oder auf Uthuria spielen (oder auf Aventurien, wenn er Redaktionssetzungen ignoriert). Ich persönlich sehe da genug Möglichkeiten. Detailgrad im Hintergrund mag ich, in den Regeln darf es gerne weniger Wust sein. Aber auch das ist bei DSA5 über die Fokusregeln ja möglich. Wobei Ulisses einige Details gegenüber DSA4 auch zurückgenommen hat, etwa die Verbeitungsgrade der Zauber.
Wir sind nach einer jahrzehntelangen Pause in der Pandemie via VTT wieder als alte Gruppe aus ganz Europa freitagsabends in Aventurien zusammengekommen, was ebenfalls die DSA5-Digitalstrategie von Ulisses ermöglicht hat. Deshalb verkaufe ich gerade meine vollständige DSA4-Regelsammlung zugunsten von DSA5. Ich verstehe also gut, warum die Ulisses-Produktstrategie auch für langjährige DSA-Spieler funktioniert – und freue mich sogar auf weitere DSA-Produkte erfahrener RedakteurInnnen durch die ELF-Lizenz und zB den Uhrwerk-Verlag.