Myranor ist nicht allein das Land der sprechenden Katzen und der fliegenden Schiffe. Seit dem Start meines Güldenland-Projekts habe ich mit manchen meiner Vorurteile aufräumen müssen. Nicht nur gehören die Myranor-Bücher zu den besten DSA-Produkten, die in den letzten Jahren erschienen sind. Auch die zunächst so fremd und merkwürdig wirkende Spielwelt ist weit interessanter und spannender, als sie auf den ersten Blick erscheinen mag.
Als langjähriger Aventurien-Spieler bin ich von Myranor vor allem eins: Positiv überrascht. Die Spielwelt ist an manchen Stellen immer noch etwas ungewohnt. Doch das Unbehagen über die gelegentlichen Merkwürdigkeiten weicht zunehmend dem Eindruck, dass ich in Myranor genau das finde, was ich mittlerweile in Aventurien vermisse. Hier sind drei Gründe für das Spiel in Myranor:
1. Myranor ist abenteuerlich
Auch in Aventurien gibt es Abenteuer. Aber Aventurien ist häufig kein abenteuerlicher Ort aus sich heraus. Der Kontinent ist ein engmaschiges Netz aus Geschichte, Mythologie, Politik und Gesellschaft. Die meisten Abenteuer entstehen aus der Verknüpfung dieser Elemente. Sie sind das Ergebnis von fortlaufenden geschichtlichen, mythologischen, politischen oder gesellschaftlichen Entwicklungen – dem Metaplot. Ohne Metaplot gibt es häufig keine Abenteuer. Dieses lebendige Aventurien hat durchaus seinen Reiz. Manchmal erinnert DSA dadurch aber an eine Fantasy-Soap-Opera.
Wo Aventurien häufig einen Anstoß von außen, durch den Metaplot, benötigt um abenteuerlich zu sein, sind viele Orte, Strukturen und Personen in Myranor aus sich heraus abenteuerlich. Nur ein Beispiel: Es gibt in Myranor eine nahezu gesetzlose Steppenregion, in der zwanzig Stadtstaaten um Macht und Einfluss ringen. Das allein klingt schon recht abenteuerlich. Doch über eine dieser Städte herrscht ein fünfzig Meter langer Drache. Einfach so. Wie cool. Eine andere Stadt ist zum Fluchtort für Magier geworden, die woanders eines Verbrechens beschuldigt werden. Auch nicht schlecht.
Natürlich gibt es in Aventurien hier und dort ebenfalls solch abenteuerliche Settings. Doch das ist nicht (mehr) charakteristisch für diese Spielwelt. Charakteristisch für Aventurien ist der Metaplot, der für abenteuerliche Handlungen sorgt. In Myranor ist es anders. Dort gibt es keinen Metaplot, dort gibt es abenteuerliche Settings.
2. Myranor ist groß
Aventurien ist ein kleiner Kontinent. Manchen DSA-Spielern ist er zu klein. In Nord-Süd-Richtung hat Aventurien eine Ausdehnung von etwa 3000 Meilen, in Ost-West-Richtung von etwa 2000 Meilen. Das ist nicht viel, wie der Vergleich mit Europa zeigt. Ein Blick auf die Detailkarten aus den Regionalbeschreibungen zeigt zudem: Die meisten Regionen sind dicht von Straßen und Wegen durchzogen und eng mit Städten und Dörfern gespickt. Großflächig unbewohnte Regionen sind selten.Myranor hingegen ist groß. Nicht riesig, aber groß. Es gibt dicht besiedelte Regionen mit Städten, die mehrere hunderttausend Einwohner zählen. Es gibt aber auch extrem dünn besiedelt Steppen- oder Waldgebiete, die etliche hundert Meilen durchmessen. Ein weit entferntes Land ist tatsächlich weit entfernt und eine Reise dorthin allein schon ein Abenteuer. Die größeren Distanzen vermeiden zudem die aus Aventurien bekannte Merkwürdigkeit, dass sehr unterschiedliche Kulturen dicht nebeneinander existieren, es aber kaum einen kulturellen Austausch zwischen ihnen gibt.
Die Größe Myranors hat noch einen weiteren Vorteil: Es gibt unerforschte Regionen. Nicht bloß einen geheimnisvollen Wald hier oder ein unwegsames Gebirge dort, sondern riesige Landstriche voller Geheimnisse und Überraschungen, die nur darauf warten von abenteuerlustigen Helden erforscht zu werden.
Überhaupt das Erforschen und Entdecken…
3. Myranor ist unbekannt
Das Spannendste an DSA war mal das Unbekannte: Eine fantastische Welt erkunden, Geheimnisse lüften, Fremdartiges erforschen. Diese Zeiten sind lange vorbei. Unbekannt ist in Aventurien kaum noch etwas. Die Spielwelt ist bis in kleinste Details beschrieben und den DSA-Fans durch jahrelanges, teils jahrzehntelanges Spiel bekannt.
Myranor haucht DSA wieder den Zauber des Unbekannten ein. Was befindet sich wohl auf der anderen Seite des Gebirges? Wo mag die Straße enden? Welcher Herrscher hat dort die Macht? Wer hat diese fremdartigen Ruinen errichtet? Warum ist dieser Landstrich fast völlig unbewohnt? Wieso meiden die Bewohner den Wald? Was für ein Ungeheuer hinterlässt solch riesige Fußabdrücke?
Das sind Fragen, die sich kaum ein langjähriger DSA-Spieler in Aventurien mehr stellt. Anders in Myranor. Ein ganzer Kontinent, größer und abenteuerlicher als Aventurien, wartet darauf erforscht zu werden. Ich finde das wunderbar. Schon lange habe ich kein DSA-Buch mehr mit so großem Interesse gelesen wie Unter dem Sternenpfeiler und Jenseits des Horizonts. Mit jeder Seite habe ich einen neuen Teil dieser unbekannten Welt entdeckt. Großartig. Wie damals.
16 Gedanken zu “3 Gründe für das Spiel in Myranor”
Schöner Artikel. Ich bin ja der Meinung, dass man das exakt so auch schon im Jahr 2000 hätte schreiben können 😉 Aber ist schön, dass Myranor durch solche Artikel mal in das positive Licht gerückt wird, das es verdient hat. Die Kritik zu Aventurien teile ich, finde aber, dass man sich da durchaus auch reizvolle Dinge rauspicken und den Metaplot ignorieren kann.
Gefällt mir auch gut, dein Artikel. @Dennis: natürlich, aber offenbar gibt es viele Leute, die mit Metaplot spielen und offenbar auch alle Bände sammeln. Ich hab auch so einen in unserer Gruppe. Na ja, wenn’s ihm Spaß macht. Ich hab nur ein paar Bände und sonst würde ich mir mal was von den Mitspielern leihen.
Besser spät als nie. 😉
Ich muss grinsen – exakt diese hier mit den letzten beiden Blogeinträgen beschriebene Erfahrung (Lamea + Sternenpfeiler = wow!) hatte ich als langjähriger „Hardcore-Metaploter“ letztes Jahr ebenfalls. Ich habe schon alleine zwei Wochen mit dem Kartenmaterial aus „Unter dem Sternenpfeiler“ verbracht, bis ich einigermaßen eine (räumliche) Ordnung in diese unglaublich alte, mystische und bedrohte Welt gebracht hatte.
Zwei Anmerkungen: 1) Noch konnte ich es meinen Spielgruppen nicht schmackhaft machen. Sie dürften halt irgendwie gar nicht merken, dass sie jetzt da sind, da wäre es wohl das bessere Aventurien.
2) Man merkt den anderen Stil bei Uhrwerk. Manche Aventurien-Publikation kommt sicher nur daher so soap-artig daher, weil das Buch in Druck MUSSTE. Wie oft wurde „Das Imperium und seine Feinde“ verschoben? Es hat sich doch nur gelohnt! Mal sehen, ob ich mir einfach nur, um diese Hypothese zu prüfen, ein Tharun-Produkt kaufen werde…
ich finde myranor schon deshalb gut, weil es dort nichts ausmacht wenn du kein mensch bist.
oder stellt auch mal vor ein baramune würde eine tarverne in aventurien betreten. die leute würde gleich dämon brüllen und versuchen ihn zu töten.
ich finde aventurien teilweis auch zu weit weg von fantasy.
Als Historiker mit starken Tendenzen zur Kulturgeschichte finde ich es immer wieder seltsam, dass das nebeneinander von sich kaum beienflussenden Kulturen auf der Fläche Europas in einer mittelalterlichen Welt als etwas komisches oder seltsames wahrgenommen wird. Das ist in der Realität teilweise noch deutlich ausgeprägter, historisch wie aktuell.
Hast du dafür ein erhellendes Beispiel? Gefühlt zumindest ist die Kulturdichte in Aventurien sehr groß.
Hm, vielleicht ist Nebeneinander von Kulturen nicht ganz der richtige Ausdruck. Besser ist vielleicht: Nebeneinander von Epochen. Den Eindruck habe ich nämlich in Aventurien. Das Mittelreich würde ich geschichtlich eher im Mittelalter bzw. Spätmittelalter ansiedeln, während das Horasreich eher in die Renaissance passt. Aber vielleicht ordne ich das auch falsch zu. So gut kenne ich mich nicht aus.
Es mag ja vieles stimmen, doch einst fing Aventurien 1985 genauso an, dazu braucht man nur auf die olle Hex-Karte blicken. Würden genauos heute wie einst damals die „Erforscher“ ihre Städte, Regionen etc. einschickne können, dann würde vermutlcih Myranor nach 20 Jahren kaum anders aussehen als Aventurien – nämlich fast vollständig erforscht. Nur das heute wohl kaum so viel Fan-Einsatz vorhandne wäre.
Trotzdem möchte ich mal etwas über Ras Tabor hören (ein Erbe uas Aventurien) 🙂
Möglich, dass der Fan-Einsatz heute nicht im gleichen Maße vorhanden wäre. Bei Myranor ist es aber auch erklärtes Ziel der Redaktion, den Kontinent nicht flächendeckend zu beschreiben, sondern viel für die eigene Ausgestaltung offen zu lassen.
Nicht jedes Fanwork muss offiziellen Status erhalten, auch wenn es diesen vielleicht „verdient“ hätte.
Hallo,
ich kann Deine Ansichten gut verstehen (kenne selber Myranor aber nicht).
Oft fehlt mir auch das Element des Unbekannten in Aventurien, da man seit Jahrzehnten diesen Kontinent bereist.
Die Größe des Kontinentes hat mich aber bislang noch nie sonderlich interessiert. Auch verlassene Regionen mit Wildnisbonus gibt es: Orkland, Khomwüste, Salamandersteine, Ehernes Schwert, Maraskan etc.
Aventurien finde ich auch nicht unbedingt als low-Fantasy. Hier wird vielmehr „versteckte high-Fantasy“ angesiedelt, z.B. Khadan Varsinian Firdayon ist das Kind eines Drachen (!) mit viel Potential für Rollenspiel.
Hilfreich ist es bislang auch immer gewesen, eine realistische Fantasy mit viel Bezug zu irdischen Kulturen im Hinterkopf zu haben.
Aber einen Drachen als Stadtherr finde ich doch auch cool 🙂
Das ist old-school-Fantasy, die’s wirklich so nicht in Aventurien gibt…
mal sehen, ob wir auch übersiedeln – aber an die Katzenviecher werde ich mich auch nie gewöhnen können…;-)
Ja, wirklich schön geschrieben, etwas fehlt mir aber noch:
Myranor ist „frei“! Als SL kann man ohne weiteres eine größere Stadt mitten im Herzen des Imperiums erfinden. Dank der Chimärenkriege kann man eigene kulturschaffende Spezies oder bizarre Monster einführen, wenn man will auch eine neue Gottheit – eine Karma-spendende sogar. Dann noch die unendlichen Möglichkeiten, eigene Zauber zu generieren…
Nicht, dass es in den Quellenbüchern nicht auch so haufenweise Offizielles als Inspiration für Abenteuer gäbe, aber das Material gibt dem Meister nicht gleich auch wieder 1.000 Einschränkungen mit, sondern lässt Raum, sich richtig auszutoben.
Hallo zusammen,
ich schließe mich dem positiven Einsruck an und frage daher: warum braucht man Uthuria? Myranor bietet alles, was Nicht-Aventurien ist.
und wenn noch ein Kultur fehlt: Platz im Westn oder Süden is vorhanden!
Stattdessen wird Uturia nun Kulturen, Wesenheiten und Abentuer bieten müssen, die es nicht in Aventuren und nicht in Myranor gibt: das erste Abentuer war eine Überfahrt, nicht anders als nach Tharun oder Myranor, nur deutlich langweiliger
Ich kann mich der Kritik auch nur anschließen.
Man kann zwar mit zu viel (Fantasy) und zu wenig (Fantasy) immer was falsch machen, aber an sich ist das Werk eigentlich gelungen. Zu „klein“ ist mir Myranor eigentlich nicht. Aber ein bisschen mehr/ anders hätten sie es schon machen können ^^